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Fotografie, nahaufnahme von Gladiolen. Foto von Ed Phillips auf Unsplash.
creative writing

Im Zwang der Familie

Shortfacts

Projektbeschrieb

Was bedeutet es, anders zu sein?

Je nach Situation, kann dies Vor- wie Nachteile haben. Meistens kommen diese Begriffe jedoch Hand in Hand daher. In dieser Kurzgeschichte geht es um einen jungen Mann namens Noah, welcher seine Zukunft in die Hand nimmt und der Familientradition den Rücken zukehrt. In den entscheidenden Stunden braucht er viel Mut, seinen Willen durchzuziehen und für sich und seine Träume einzustehen.

Im Zwang der Familie

Es riecht nach jungen Krokussen. Sie bedecken die gesamte Wiese. Noah wird langsam kalt, aber er hat keine Lust hineinzugehen. Hier hat er seine Ruhe. Abseits von all den Anzugträgern. Mit ihren Whisky Gläsern in der Hand stolzieren sie herum, als würde ihnen die ganze Welt gehören.

»Noah! Es wird Zeit!«, schreit sein Vater in die Abenddämmerung hinaus. Ein Seufzer entfährt Noah. Ich weiss schon, warum er mich sucht. Nicht weil es ihm wichtig wäre, wie es mir geht. Nein, ihm geht es nur ums Geschäft. Noah wäre es lieber, nicht Teil der Firma zu werden. Scheiss Familientradition!

Eigentlich will er den kleinen Garten, den ihn so sehr an seine liebe Mutter erinnert, gar nicht verlassen. Du warst auch damals schon lieber hier als bei ihm, oder Mama? Noah erhebt sich und schleppt sich über den Rasen Richtung Eisentor.

»Noah, wie schön dich zu sehen!«, hört er eine euphorische Stimme hinter sich. Emily tritt einen Schritt näher auf ihn zu.

»Bist du bereit für deinen grossen Auftritt?«, fragt sie ihn aufgeregt.

Nein, eigentlich ganz und gar nicht. Aber habe ich denn eine Wahl?

»Natürlich. Ich sehe dich dann später«, beendet Noah das Gespräch und steigt die Treppen nach oben. Er betritt den Saal, in dessen Mitte ein langer Tisch steht und setzt sich genervt. Wann ist dieser beschissene Tag endlich zu Ende?

Noah lehnt mit verschränkten Armen an der Wand, den Kopf gesenkt. Diese zweistündige Sitzung war mit Abstand das Schlimmste, was ich je in meinem Leben ertragen musste.

»Du wirkst nicht besonders erleichtert.« Emily steht schon wieder neben ihm. Sie ist die Einzige, die wie Noah erst zwanzig Jahre alt ist. Alle anderen des Vorstands sind mindestens sechzig.

»Was willst du Emily?«, fragt Noah sie genervt.

»Ich weiss, was heute für ein Tag ist«, antwortet Emily mit sanfter Stimme und legt ihre Hand auf seine Schulter.

»Ich habe Blumen mitgebracht. Rote Gladiolen. Die mochte sie am liebsten.« Noah betrachtet die feurigen Blüten mit traurigen Augen. Früher strahlten sie aus jeder Ecke ihres Gartens.

»Das ist sehr aufmerksam von dir. Vielen Dank, Emily«.

Sie nimmt ihn an der Hand und führt ihn durch den Flur nach draussen.

»Wohin willst du, wenn ich fragen darf?«, hört Noah eine raue Stimme hinter sich. Wohin wohl? Heute ist Mamas Todestag. Ohne sich umzudrehen entgegnet Noah ihm: »Ich gehe zu Mamas Grab. Dort solltest du eigentlich auch sein«.

»Meinst du nicht, du solltest es ihm endlich mal sagen?« Emily legt die Blumen zum Grabstein. Noah beobachtet sie nachdenklich. Eigentlich habe ich jetzt gar keine Lust darüber zu reden. Aber so wie ich sie kenne, lässt sie nicht locker. »Ich werde es ihm heute Abend erzählen.«

»Das solltest du auch. Schliesslich ist der Studienstart schon in zwei Tagen.«

Wie Vater wohl reagieren wird? Wenn es wenigstens ein Wirtschaftsstudium wäre, könnte er sich vermutlich noch damit abfinden. Aber Geschichte?

»Danke, dass du heute bei mir bist«. Noah greift nach Emilys Hand und drückt sie leicht.

Nervös und mit zitternder Hand greift Noah nach der Türklinke. Sein Herz hämmert wie verrückt.

»Vater, wir müssen reden«, sagt Noah mit unsicherer Stimme.

»Ich habe jetzt keine Zeit«, antwortet dieser, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Er lehnt am Fenster, ein Glas Whisky in seiner Hand. Auf dem kleinen Beistelltisch neben ihm steht die halb leere Flasche. Er hat getrunken. Mir wird übel.

»Ich werde nicht in den Vorstand deiner Firma eintreten. Übermorgen beginnt das neue Semester der Universität Nexton. Ich habe mich für den Studiengang Geschichte beworben«, sagt Noah leise. »Ich wurde angenommen«.

Auf dem Gesicht von Noahs Vater bilden sich rote Flecken. Sein Mundwinkel zuckt. Er festigt seinen Griff um das Glas, dann schleudert er es mit voller Wucht gegen die Wand.

»Was ist nur in dich gefahren! Ich habe deine Zukunft in die besten Wege gelenkt! Wäre deine Mutter noch hier…«

»Fang nicht von Mama an!«, unterbricht Noah ihn schreiend. Wie kann er es wagen Mama ins Spiel zu bringen. Sie war die Einzige, die immer auf meiner Seite war.

»Ich werde dieses Studium anfangen. Ist mir egal was du davon hältst.« Noah versucht ruhig zu bleiben. »Ich gehe meinen eigenen Weg und werde noch heute abreisen«.

»Das wirst du nicht!«, schreit sein Vater und packt ihn am Arm, als er den Raum verlassen will. »Ist es dir denn vollkommen egal, was mit dieser Familie, mit der Firma geschieht? Du bist die Zukunft!«

»Diese Familie ist für mich mit Mamas Tod gestorben. Dich hat es doch nie interessiert, was ich mache oder wie es mir geht. Also lass mich in Ruhe!« Noah reisst sich los und läuft nach draussen. Emily wartet bereits im Auto. Sein Vater rennt ihm nach.

»Wenn du jetzt gehst, brauchst du nie wiederzukommen!«, brüllt sein Vater ihm hinterher, während sich Noah hinters Steuer setzt.

»Ganz ehrlich? Es ist mir egal. Ich will dein dämliches Unternehmen nicht. Und meine zukünftigen Kinder werde ich, im Vergleich zu dir, nie zu etwas zwingen!«, erwidert er mit aufgebrachter Stimme und drückt aufs Gaspedal. Emily lächelt Noah zu, während sich die eisernen Pforten hinter ihnen schliessen. Danke Emily.

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