
Wir begegnen ihr meistens in Spielfilmen oder TV-Serien, aber auch in nonfiktionalen Beiträgen wie Nachrichten oder Social Media Beiträgen. Gewalt in Filmen oder TV-Serien wird oft auch als fiktionale Gewalt beschrieben [4]. Grund dafür ist die Inszenierung: Gewalt in Film und TV-Serie ist auf ein Publikum ausgerichtet und wird mit ästhetischen Mitteln aufbereitet [4]. Sie ist nicht echt, sondern gespielt.
«Mediale Gewalt wird als eine möglich erscheinende reale Gewalt innerhalb einer möglichen dargestellten Welt von dargestellten Tätern ausgeübt» [4]
Lothar Mikos, Professor für Fernsehwissenschaft an der Filmuniversität Babelsberg
Doch es gibt noch weitere Formen der medialen Gewalt: Die abgebildete reale Gewalt zeigt Gewaltdarstellungen in einer sozialen Realität. Diese wird für die Darstellung im Medium aufbereitet und dient meistens für die Präsentation der Zuschauer und Zuschauerinnen [4]. Wird eine Gewaltdarstellung im Rahmen von Game- oder Talkshows gezeigt, ist sie inszeniert und wird als inszenierte reale Gewalt beschrieben [4].
Wie beeinflusst uns die Inszenierung?
Die Art und Weise, wie die Gewalt dargestellt wird, beeinflusst uns Menschen sehr. Es sind die Gestaltungsmittel, welche die Intensität zwischen Filmen und dem Publikum steuern [3]. Dazu gehören beispielsweise die Kamera und ihre Einstellungen: Einstellungsgrösse, Perspektive und Bewegung. Auch Licht und Farbe spielen eine Rolle. Mit dem Licht wird die Aufmerksamkeit des Zuschauers gelenkt oder eine Stimmung hervorgerufen [3] [5]. Die Farbe kann aber auch die Gefühlslage einer Szene verändern. Sie fördert im Film die Dramaturgie [5]. Schnitt und Montage können Spannung erzeugen, wenn sie richtig eingesetzt werden. Denn je grösser die Schnittgeschwindigkeit ist, desto eher entsteht der Eindruck von Kraft und Attraktivität [3]. Für die Verarbeitung von gewalthaltigen Darstellungen ist am Schluss jedoch hauptsächlich der sogenannte Code der «Echtheit» relevant [1]. Das bedeutet, wie echt etwas dargestellt ist, ist für die Wahrnehmung relevant.
Aber auch visuelle Effekte & Spezialeffekte haben einen Einfluss auf die Wahrnehmung. Sie sind hauptsächlich dafür verantwortlich, den Realitätseindruck, optisch und auditiv, zu erhöhen. In diesem Bereich wird insbesondere das Vorwissen der Zuschauer und Zuschauerinnen relevant [3]. Hierzu ein Beispiel von Lothar Mikos: Wird eine Leiche mit einem Messer in der Brust gezeigt, können die Zuschauer und Zuschauerinnen darauf schliessen, dass diese Person erstochen wurde. Denn die Zuschauer und Zuschauerinnen wissen, dass mit einem Messer eine andere Person erstochen werden kann. Doch ihnen ist auch bewusst, dass die Leiche nicht echt ist und eigentlich ein Schauspieler lebendig am Boden liegt und nur tot spielt [3].
Nicht nur das Vorwissen der Zuschauer und Zuschauerinnen hat einen Einfluss auf die Wahrnehmung von Gewalt. Insbesondere das Leiden des Gewaltopfers ist relevant: Petra Grimm, Professorin für Medienforschung und Kommunikationswissenschaften, schilderte, dass die Gewalt meistens gewaltsam empfunden wird, wenn Schmerz und Leid des Opfers dargestellt wird. Insbesondere dann, wenn die Darstellung drastisch und deutlich ist und eine Identifikation mit den Opfern erfolgt [1]. Auch wurde herausgefunden, dass die Gewalt als gewaltsamer empfunden wird, wenn sie realistischer dargestellt wird [8].
In Filmen wird eine Konfliktlösung fast grundsätzlich durch Gewalt gelöst [9]. Hast du dir schon mal überlegt, warum das so ist? Die Antwort ist relativ simpel: ohne Gewalt wäre es für die Zuschauer und Zuschauerinnen zu langweilig [9]. Hinzu kommt die Computertechnologie, welche sich über die Jahre stark verändert hat und die Ästhetik und Qualität der Filme und Serien verbessert hat. Das steigert das Interesse und die Bereitschaft, immer brutalere Gewalt in Film und Serie anzuschauen [10].
03Problematisch wird die mediale Gewalt dann, wenn wir uns an sie gewöhnen. Diese Gewöhnung nennt sich auch «Desensibilisierung».
Die mediale Gewalt nimmt zu
Insbesondere diese inszenierte fiktionale Gewalt nimmt in Filmen stetig zu. Ein aktuelles Beispiel ist die Serie Squid Game, welche 2021 auf Netflix erschienen ist. 111 Millionen Accounts haben Squid Game seit dem Erscheinen eingeschaltet [6].
Worum geht es in der Serie Netflix?
In der Serie geht es um 456 hoch verschuldete Personen, welche eingeladen wurden an verschiedenen Spielen teilzunehmen, um eine Menge Geld zu gewinnen. Diese Spiele wirkten zu Beginn wie harmlose Kinderspiele, doch bereits beim ersten Spiel stellten die Spieler und Spielerinnen fest, dass sie auf brutale Art und Weise mit ihrem Leben bezahlen müssen, sollten sie das Spiel verlieren [7].
Spannend ist hierbei, dass die Serie so grossen Anklang bei der Gesellschaft gefunden hat, obwohl viele die Serie als brutal beschrieben haben. In einer Studie des Institut für Generationenforschung in Ausburg (Deutschland) wurden 2025 Personen zur Serie befragt. Insgesamt haben 93% aller Befragten die Serie als brutal beschrieben. Zusätzlich fand man heraus, dass für 42% der über 50-Jährigen das Attribut «belastend» voll und ganz auf die Serie zutrifft. Bei den unter 27-Jährigen stimmten dieser Aussage nur 18% zu [11].
«Durch den frühen Umgang mit digitalen Medien werden Jugendliche im frühen Alter schon mit viel Gewalt in den Medien konfrontiert, was sie gegebenenfalls bezogen auf derartige Serien emotional abstumpfen lässt» [11]
Rüdiger Maas, Leiter des Instituts für Generationenforschung
Literatur
- Grimm, P. (2016). Gewaltdarstellungen. In J. Heesen (Hrsg.), Handbuch Medien- und Informationsethik (S. 161–169). J.B. Metzler. Link
- Mikos, L. (2013). Repräsentation der Gewalt – Film. In C. Gudehus & M. Christ (Hrsg.), Gewalt. Ein interdisziplinäres Handbuch. (S. 282–288). J. B. Metzler.
- Mikos, L. (2015). Film- und Fernsehanalyse. UVK.
- Mikos, L. (2018). Mediale und reale Gewalt. Bürger im Staat, 3, 150–156.
- Müller, I. (2013). Bildgewaltig! Die Möglichkeiten der Filmästhetik zur Emotionalisierung der Zuschauer. IMAGE. Zeitschrift für interdisziplinäre Bildwissenschaft, 9(1), 52–74. Link
- netflixde. (2021, Oktober 13). Es ist offiziell: 111 Millionen Accounts haben Squid Game seit dem Erscheinen eingeschaltet. Damit ist der Überraschungserfolg aus Südkorea der erfolgreichste... [Tweet]. Twitter. Link
- Netflixwoche Redaktion. (2022, April 22). Wunsch nach zweiter Staffel: Warum Squid Game die Streamingwelt gerade komplett umkrempelt. netflixwoche. Link
- Noelle-Neumann, E., Schulz, W., & Wilke, J. (2004). Publizistik Massenkommunikation. Fischer Taschenbuch Verlag.
- Oberlechner, H. (1997). Gewalt auf dem Bildschirm (II. Folge). Medienerziehung, 19, 77–80.
- Scheyer, M. (2009). Die TV-Serie im Zeitalter der digitalen Globalisierung. Diplomica Verlag GmbH.
- Squid Game — Brutal, gut? (o. D.). Institut für Generationenforschung. Link